ESSAY-BRIEF

Essay-Brief August 2014  

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Die Essenz der Bhagavad Gita (Teil IX.) - Was ist Liebe?

© Bernd Helge Fritsch

 

Liebe mit und ohne Begrenzung

Gewöhnlich wählt der Mensch aus, was er lieben will und was er ablehnt zu lieben. Seine „Liebe“ ist selektiv und begrenzt. Er liebt, was ihm gefällt und womit er sich verbunden fühlt. Er liebt, was er als angenehm beurteilt, er liebt diejenigen, die ihn lieben, die ihm Gutes tun. Er liebt Erfolg und Besitz. Er liebt  „seine“ Familie, „seine“ Volksgruppe, „seine“ Glaubensfreunde.

Jesus stellte die radikale Forderung auf:

„liebet eure Feinde!... Wenn ihr nur die liebt die euch lieben, welchen Lohn werdet ihr haben?“

(Mat. 5,44-46)

 

Die eigenen Feinde zu lieben, dieses Gebot geht zweifellos über das einem Menschen zumutbare Verhalten hinaus. Wie kann jemand das lieben, was er als böse oder schlecht zu bekämpfen oder zumindest abzulehnen gewohnt ist?

Die „duale Liebe“ begehrt, will dies und jenes für sich besitzen, will geliebt, gelobt und anerkannt werden. Hingegen leisten wir gegenüber dem, was uns nicht gefällt zumindest inneren Widerstand. Wir ärgern uns, geraten in Wut, schimpfen, bedauern uns. Für den normalen Menschen ist es unmöglich seine „Feinde“ zu „lieben“. Niemand kann und niemand wird das Unerfreuliche begehren oder für sich besitzen wollen.

Liebe jenseits von „Gut und Böse“

Die Liebe von der die großen Weisheitslehrer sprechen existiert jenseits von „Gut und Böse“, von „Begehren oder Ablehnung“. Diese Liebe bevorzugt nicht das Eine gegenüber dem Anderen. Sie ist wie Gottes Liebe,

„der seine Sonne aufgehen lässt über die Bösen und über die Guten und es regnen lässt gegenüber Gerechte und Ungerechte.“ (Mat. 5,45)

 

Das Übel der dualen Liebe, man könnte sie auch als die mit dem Ego verbundene Liebe bezeichnen, beginnt im Mind. Es beginnt mit der Bewertung als „gut und böse“. Jenseits von unserer dualen Denkweise gibt es kein „gut und böse“. Naturereignisse (auch sogenannte Katastrophen), Pflanzen und Tiere sind weder gut noch böse. Dasselbe gilt für die Menschen. Sie befinden sich auf verschieden Stufen von Bewusstheit. Je unbewusster sie sind, desto mehr tendieren sie dazu sich selbst und anderen Menschen Leid zuzufügen. Auch neigt der Mensch dazu, auf unbewusstes Egoverhalten eines anderen mit gleichem Verhalten zu reagieren. So entstehen Streit, Hass und Krieg. Im Seelen-Grunde ist jeder Mensch ein göttliches Wesen. Doch für das „Oberflächen-Bewusstsein“ des gewöhnlichen Menschen ist dies nicht erkennbar.

Zur Klarstellung sei noch erwähnt, dass trotz des Umstandes, dass es keine „guten“ oder „bösen“ Menschen gibt, dies keinen Freibrief für unheilvolles Handeln bedeutet. Denn jeder muss die karmischen Folgen unbewussten Denkens und Handelns erdulden.

Alle Ereignisse in dieser Welt, das Verhalten der Menschen und ebenso Schicksalsschläge, Krankheit und Tod sind eingebettet in die unendliche und unfassbare Weisheit und Liebe des universellen Bewusstseins, auch Gott genannt. Wie ich immer wieder betone: „Das Schicksal macht keine Fehler!“ oder, wie wir im Lukas-Evangelium lesen, sind alle unsere Sorgen und Ängste unbegründet denn: „bei Gott ist jedes Haar auf eurem Haupte gezählt.“ (Luk.12,7)

Die Gita erklärt uns, wie wir unsere duale, von „Lieben und Hassen“ von „Hoffen und Ängsten“ geprägte Denkweise überwinden und der allumfassenden Liebe teilhaftig sein können:

(Krishna:) Er, der weder freudiges Verlangen noch Hass empfindet, der weder jubelt noch trauert, der dem Guten und Bösen gegenüber gleich gesinnt ist, der mir so hingegeben ist, den liebe ich;

Er der gegenüber Freund und Feind sich gleich verhält und ebenso gegenüber guter oder schlechter Nachrede, der in Kälte und Hitze, Freude und Schmerz derselbe bleibt und frei von Anhaften bleibt;

Er, der sich gegenüber Lob und Tadel gleich verhält, wer nicht zu viel redet, genügsam bleibt, der an nichts festhält, jedoch im Geist gefestigt ist, den so mir zugewandten liebe ich. (12: 17-19)

 

Wahre Liebe entsteht nicht, wenn dem Menschen etwas gefällt und verschwindet, wenn dies nicht der Fall ist. Der Urgrund allen Seins ist Liebe. Die ganze Welt ist aus ihr erschaffen. Das Licht der Liebe hat auf unbegreifliche Weise die Wunder des Universums, die Sonne, das Wasser, unsere Erde, die Pflanzen, Tiere und Menschen hervorgebracht.

„Wäre die Sonne nicht Liebe, hätte ihre Schönheit kein Licht.

Wären Erde und Berge nicht Liebe, würde kein Gras auf ihnen wachsen.“

Dschalal ed–Din Rumi (islamischer Mystiker)

 

Hinter dem einfachsten Stein, hinter jedem Blatt eines Baumes, hinter allem was erscheint und vergeht wirkt unablässig die Liebes-Kraft des universellen Bewusstseins, welches identisch ist mit unserem individuellen, reinen Bewusstsein (auch „Selbst“ oder „Atman“ genannt). Ich weiß, an dieser Stelle meldet sich bei vielen Menschen sofort der Verstand mit einem großen „Ja, aber... wie verträgt sich diese Ansicht mit dem Unglück, Elend, Schmerzen, dem Bösen, dem Streit und Krieg in der Welt?“ Es ist das duale Bewusstsein welche die Menschen zwingt, immer wieder eingehüllt in eine dunkle Wolke der Verirrung „egoistisch, angstvoll und lieblos“ zu denken, zu urteilen und zu handeln. Von einer höheren Warte betrachtet vollzieht sich in der äußeren Welt göttliches Wirken gemäß den Gesetzen des Schicksals. Auch die dunklen Wolken in unserm Mind gehören dazu. Wie schon gesagt, gibt es „jenseits“ davon weder Gut noch Böse, weder Werden noch Vergehen. Das Schauspiel von „Gut und Böse“ in der erscheinenden Welt ist eine kluge göttliche Inszenierung. Es dient dazu den Menschen zum Erwachen zu bringen und ihn von seiner dualen, fremdgesteuerten zu einer ureigenen, göttlichen Bewusstseinsstufe zu führen. Dieser Weg führt durch Liebe zur Liebe, durch Achtsamkeit, durch bewusstes Sein zu höchstem Bewusstsein.

Der Weg des Erwachens führt durch die Liebe zur Liebe, durch Achtsamkeit, durch bewusstes Sein zu höchsten Bewusstsein.

 

Liebe sein

Wenn alles aus Liebe geschaffen wurde, so ist auch der Mensch im Grunde seines Wesens Liebe. Für den Menschen gilt es sich seines göttlichen Ursprungs, dass heißt sich seiner unteilbaren, allumfassenden Liebe wieder bewusst zu werden.

Die Liebe hat nicht die Absicht etwas Gutes zu tun. Es funktioniert auch nicht, sich zu bemühen, liebevoll zu sein. Es macht keinen Sinn sich anzustrengen, um zu sein, was man bereits ist. Wir müssen nur die schwarzen Ego-Wolken, die unsere Sicht behindern und uns nicht entfalten lassen, was wir sein könnten, auflösen. In der Liebe strahlst du einfach aus, was du bist.

Wenn wir wirklich lieben, so SIND wir einfach was wir sind, nämlich Liebe. Und wir können nur entweder leben was wir sind – dass heißt alles Sein zu lieben wie es ist – oder wir leben getrennt von dem was wir sind und was das gesamte Universum von innen heraus bestimmt. Getrennt zu leben, von dem was wir sind bedeutet, Angst zu haben, sich Sorgen zu machen, getrennt von der Liebe zu sein, unglücklich zu sein.

„Du kannst nur entweder leben was du bist  – dass heißt du liebst alles Sein wie es ist  –

                                                              oder du lebst dich nicht.“

 

Liebe bedeutet zum Leben wie es ist kompromisslos „Ja-Sagen“. Dann gibt es keinen inneren oder äußeren Widerstand gegen das Sein, wie es ist, gegen Menschen, wie sie sind, gegen das Schicksal, wie es ist. Dann gibt es keinen Groll oder Zorn, kein seelisches, krankmachendes Unglücklich-Sein und Leiden. Dann bist du die/der, die/der du bist. Zu sein wie du bist befreit und lässt dich die Glückseligkeit non-dualer Liebe (sanskrit „ananda“) erfahren. Natürlich, wenn es dir sinnvoll erscheint, kannst du auch im Zustand dieser Liebe deine Lebensumstände, soweit möglich, verbessern. Du musst als Liebender nicht passiv sein. Doch ein neues Bewusstsein hat sich dir eröffnet.

Gott lieben

Die Gita ist im Grunde von der ersten bis zur letzten Seite ausgerichtet auf die liebende Hingabe zu Gott (Krishna). Das „Ziel aller Ziele“ ist die Heimkehr des Menschen zu Gott, welche übereinstimmend ist mit der Heimkehr zu sich selbst.

Doch wie kann der Mensch Gott finden, Gott lieben? Wie kann ich etwas lieben, was alles umfasst, aus dem alles entspringt, was unsichtbar und unvorstellbar ist? Wie kann ich bewusst EINS sein mit dem universellen Bewusstsein, welches für unseren dualen Verstand nicht zugänglich ist?

Die gewöhnliche bewusste Beziehung des Menschen zu Gott – falls überhaupt eine vorhanden ist – besteht in der Regel darin in die Kirche, in einen Tempel, eine Mosche oder in eine Synagoge zu gehen, ein Gebet zu sprechen, gewisse Rituale zu vollziehen, wie die Kommunion in den christlichen Kirchen oder Räucherstäbchen anzuzünden und sich vor einer Buddha-Statue zu verbeugen, zu Chanten oder Gebetsmühlen zu drehen. Besonders gerne besinnen wir uns auf Gott, wenn es uns schlecht geht, wenn wir ein Problem haben, dann beten sogar sonst ungläubige Menschen zu ihrem Gott und bitten ihn, er möge sie von dem Übel befreien.

Nach altindischer Lehre, die sich in der Gita wiederspiegelt, kann die Vollkommenheit, die Wiedervereinigung mit unserem Ursprung, mit unserem göttlichen Sein im Wesentlichen auf drei Wegen erreicht werden:

 

Bei näherem Studium zeigt sich, dass diese drei Zugänge, sich gegenseitig bedingen und ergänzen. Bhakti ist nicht denkbar ohne selbstloses Handeln und ein gewisses Verständnis der in uns wirkenden Natur. Befreiendes Handeln benötigt Einsicht in die Motive unseres Handelns und liebende Hingabe. Wahre Erkenntnis eröffnet sich nur der Seele, die zur Hingabe und Aufgabe selbstsüchtiger Interessen bereit ist.

Im Kapitel 12 der Gita, welches nur 20 Verse beinhaltet, geht Krishna auf die folgende Frage von Ardjuna ein:

12: 1 Wer hat größeres Wissen vom Yoga: Jene, die dich in deinen Offenbarungen verehren oder jene, die versuchen sich dem Höchsten,  Unvergänglichem und Unsichtbarem zu verbinden?

 

Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten Gott in seiner Erscheinungsweise zu verehren. Wir können Gott in der uns umgebenden Natur, in den Menschen und ihren Werken, in den wunderbaren Wegen des Schicksals erkennen und lieben. Wir können Bilder und Statuen, die von Menschenhand entsprechend ihren Vorstellungen von Gott, Jesus, der heiligen Maria oder von Buddha, Krishna oder anderen Göttern geformt wurden, anbeten.

Viel schwieriger und nicht für alle Menschen möglich ist es, wie die Gita zum Ausdruck bringt, das Un-Offenbare, Un-Denkbare, All-Gegenwärtige, den Ursprung aller Erscheinungen zu verehren. Ist nicht jede Vorstellung von „Gott“ eine Projektion unseres ohnehin äußerst beschränkten Verstandes? Oder anders gefragt: Ist es möglich mit etwas in Verbindung zu treten, was mit den Sinnen nicht fassbar, undenkbar und allesumfassend ist? Wie kann ich das „Nichts und Alles“ lieben und verehren?

Damit wollen wir uns im nächsten Essaybrief auseinander setzen.

 

Viel Freude und Bewusstheit wünscht dir

Bernd

 

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