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Essay-Brief Oktober 2013

Die Essenz der Bhagavad-Gita – Teil III. – Die Gunas

© Bernd Helge Fritsch

 

Wie die Gita aufzeigt, wirken in den äußeren sich ständig verändernden, vergänglichen Erscheinungsformen die göttlichen Naturkräfte (sanskrit: gunas). Das Ergebnis nehmen wir als wunderbares Schauspiel (maya) geprägt von Natur-Gesetzen (Ursache und Wirkung, Energie, Schwerkraft – Fliehkraft, Dualität, männlich – weiblich, Werden und Vergehen usw.) wahr.

Die Gunas sind sozusagen der „Stoff“ aus dem die erscheinende Welt sich entfaltet. Die Gunas werden auch als die „Mutter“ aller Erscheinungen bezeichnet. Die schöpferische Gottheit lässt durch die Energie der Gunas die Welt, so wie wir sie sehen, entstehen.

Wie uns die Genesis (Schöpfungsgeschichte im Alten Testament, 1.Mose) erklärt entstand die Welt indem „Gott sprach...“. Er sprach, oder man könnte auch sagen der universelle Geist „dachte“, und die „Gesetze“ (Gunas) führten aus.

In der Regel weiß der Mensch nichts davon, doch ebenso wie der universelle Geist hat auch sein individueller „Geist“ schöpferische Kraft. Alles was wir denken und glauben, ob positiv oder negativ, mutig oder angstvoll, kreativ oder zerstörend, hat eine mächtige Tendenz sich in unserem Leben zu verwirklichen. Die „Gesetze“ (Gunas) sorgen dafür, dass unsere Gedanken sich in der äußeren Welt manifestieren. Auf diese Weise erschafft jeder Mensch „seine besondere Welt“, seinen Körper, sein Umfeld, sein Karma. Fast jeder kennt den Lehrsatz: „Gedanken sind Kräfte“, doch kaum jemand kümmert sich um die damit verbundenen Konsequenzen. Wenn der Mensch sich der Schöpferkraft seiner Gedanken bewusst wäre, so würde er sorgfältiger darauf achten, was die ständig in seinem Gehirn plappernden Gedanken anrichten. So wäre es für ihn ein Leichtes Sorgen, Leid und Unheil zu vermeiden.

Die altindische Weisheit nennt alle Erscheinungen (nicht nur die sichtbaren, sondern alle Lebensvorgänge) die „Natur Gottes“ oder die „niedere Erscheinungsform Brahmans“ (sanskrit: prakriti).

Gita 7: 4 Krishna: Meine niedere Natur, die von mir abgespaltenen acht Energien, setzen sich zusammen aus: Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, Geist, Verstand und Ego-Gefühl.

 

Diese „niedere Natur Gottes“, zu der auch unser Körper und unser Mind zählen, wird nach der altindischen Weisheitslehre durch das Zusammenspiel von den drei „Gunas“ bestimmt. Dazu lesen wir in der Gita:

14: 5-9 Die erscheinende Natur (Prakirti) wird von den drei Ur-Kräften (Gunas): Güte (sattva), Leidenschaft (rajas) und Trägheit (tamas) geformt. Der Kern jedes Lebewesens ist mit diesen Gunas eng verbunden.

 

 

Jeder kann die Wirksamkeit dieser drei Seelenkräfte in sich und bei seinen Mitmenschen wahrnehmen. Je nachdem welche dieser Kräfte überwiegen oder in den Hintergrund treten, sind der Charakter und das Verhalten eines Menschen geprägt. Bei Menschen, die sehr aktiv sind, die fieberhaft ihr Glück in äußeren Dingen und Erfolgen suchen, überwiegt Rajas. Von Tamas geprägte Charaktere sind träge und neigen zu Genusssucht. Sie sind an seelischer-geistiger Entwicklung wenig interessiert. Menschen mit starken Sattva sind offen für Liebe, Schönheit und Weisheit. Sie haben sich weitgehend vom zwanghaften Ego-Denken befreit.

Krishna betrachtet sich zwar als der Schöpfer der Gunas, doch er identifiziert sich nicht mit ihnen.

7: 12 Krishna: Die Kräfte der Natur, Güte (sattva), Leidenschaft (rajas) oder Unwissenheit (tamas), stammen aus meiner Energie. Sie sind von mir und in mir, doch ich bin frei von Ihnen.

 

Ebenso sollten wir uns nicht mit den in unserem Körper und unserem Mind wirkenden Kräften, mit dem, was wir getan und erreicht oder nicht getan und nicht erreicht haben identifizieren. Unsere Manifestationen sind vorwiegend durch unser Vorleben, unsere Gene, unser Schicksal bestimmt. Sie sind zwar von unserer individuellen Seele (jiva) geprägt, doch wir sind nicht unser Körper, unser Denken, Fühlen, Wollen oder das, was wir im Laufe eines Lebens erfahren.

Der Mensch bildet sich ein frei zu denken und zu wollen. Doch in Wirklichkeit wird sein Denken, Fühlen und Wollen vorwiegend von den Gunas gesteuert. In der Regel läuft unser Denken ebenso automatisch ab, wie der Verdauungsvorgang in unserem Körper. Wir können den Stoffwechsel unseres Körpers (Atmung, Blutkreislauf, Verdauung) nicht beliebig steuern. Das ist auch nicht notwendig, denn dafür sorgt, wesentlich besser als der Verstand es könnte, die „niedere Natur Gottes“.

14: 19-20 Wenn du erkennst, dass alle Tätigkeiten und Unterlassungen von den Erscheinungsweisen der Natur (Gunas) bestimmt sind und dich nicht mehr mit ihnen identifizierst, dann wirst du mit mir (Krishna) vereinigt.

 

Kannst du dich im Bewusstsein über die Kräfte der Gunas erheben, so wirst du von allen Leiden, von Geburt, Alter und Tod befreit und erlangst ewiges Leben.

Eine unkontrollierte Verdauung ist kein Problem. Wohl aber entstehen all unsere Sorgen und Schwierigkeiten durch unkontrollierte Gedanken. Um Befreiung vom zwanghaften Denken zu erlangen und um weisheitsvolle Entscheidungen zu treffen, muss der Mensch lernen die Vorgänge in seinem Mind zu beobachten, zu steuern und sie bei Bedarf auch abzustellen. Damit öffnet er sich für Weisheit und Liebe die aus der Stille kommen.

Der Weg zur Befreiung beginnt damit, dass wir zum leidenschaftslosen „Zuschauer“ der Spiele der Natur werden. Wir beenden auf diese Weise die Identifikation mit unserem Körper, mit unseren Gedanken und Gefühlen, mit unserer Umgebung, mit unserem Schicksal. Wir stecken nicht mehr mitten drin in dem was im Außen und in unserem Mind vor sich geht, sondern wir werden zum „reinen Beobachter“. Wir begehren nichts, wir akzeptieren alles, so wie es ist, wir lieben das Sein, so wie es ist und tun das, was zu tun ist, was der Augenblick von uns erfordert.

Stirbt auf diese Weise unser Ego, kann das aufleuchten, was wir wirklich sind, der „Atman“, die unsterbliche, mit Worten nicht beschreibbare Seele. Dann sind wir eins mit „Sat, Chit, Ananda“ (Sein, Bewusstsein und Glückseligkeit). Mit diesen drei Worten wird in den altindischen Schriften die an sich attributlose, allumfassende Gottheit „Brahman“ umschrieben.

13: 22-23 Es gibt neben der, mit der Natur verbundenen „Seele“, noch einen höheren Geist, das „Selbst“ genannt. Das Selbst gilt als der Zuschauer, als transzendenter Genießer der Spiele der Natur.

Wer dieses Wechselspiel zwischen dem Selbst und der Natur durchschaut, wird sicherlich Befreiung erlangen und nicht mehr geboren werden. Dies unabhängig von seiner derzeitigen karmischen Lebens-Situation.