ESSAY-BRIEF

Briefe

Bücher

Team

Kontakt

Home

Aktuell

Essay-Brief Mai 2012

Hast du Zeit?

© Bernd Helge Fritsch

 

Wir leben in einer atemlosen Zeit. Unser Wirtschaftsleben ist ausgerichtet auf immer „schneller“ und immer „mehr“. Schneller produzieren, schneller kommunizieren, sich schneller fortbewegen und mehr Gewinn machen, mehr konsumieren lauten die Parolen.

Und obwohl uns die moderne Technik viel Arbeit abnimmt und viel Zeit einspart, hat der Mensch immer weniger Zeit für sich, leidet unter Überlastung, Zeitmangel und Stress.Wenn wir sorgfältig in uns hineinhorchen, unsere Gedanken beobachten, so können wir erkennen, was uns wirklich den „Atem raubt“. Es ist die ständige Beschäftigung unseres Geistes (Mind) mit dem, was als Nächstes kommt, was heute, morgen… sein wird. Was wir glauben tun zu „müssen“! Wir sind fortwährend getrieben von einer Vielzahl von Vorstellungen wie unsere Zukunft aussehen soll, von Erwartungen und Befürchtungen. Dadurch entstehen psychologische Zeit, Zeitdruck, Angst vor der Zukunft, Stress, Burnout…

Das Wort „Zeitdruck“ lässt uns den Grundirrtum erkennen. Die Zeit kann niemand drücken. Das müsste jedem einleuchten. Also wer ist es dann, der die Zeitprobleme verursacht?

Es ist unser „Ego-Geist“ der sich nicht in Harmonie befindet mit dem, was „jetzt“ ist.

Er verhindert, dass wir in das wirkliche Sein, in die unendliche Tiefe, in die unfassbare Schönheit, in den großen beglückenden Frieden, in die allumfassende Liebe des gegenwärtigen Lebens eintauchen können.

Zeit ist eine Illusion, ein gedankliches Konstrukt. Wie Eckehart Tolle sagt, ist dieses Konzept für „praktische Zwecke“ (für unsere duale Art zu denken) unverzichtbar. Aber zugleich ist sie „das größte Hindernis für die Selbsterkenntnis“. Nach Tolle sollten wir nicht nach mehr Zeit für uns suchen, sondern wir sollten „sie lieber eliminieren“. Ähnlich erklärt der christliche Mystiker Meister Eckehart:

„Es gibt kein größeres Hindernis auf dem Weg zu Gott als die Zeit!“

 

Zeit entsteht durch Erinnerung an vergangenes Erleben und durch die Projektion dieser Erfahrungen in die Zukunft. Die „Vergangenheit“ existiert nicht real – sie besteht nur aus dem, woran wir uns erinnern. Sie setzt sich aus Eindrücken zusammen, die so stark waren, dass sie in unserem „Vergangenheits-Bild“ einen Eindruck hinterlassen haben.

Und niemand hat je eine „Zukunft“ kennen gelernt. Sie ist ebenfalls ein Produkt unseres Verstandes.

Der Ego-Geist identifiziert sich mit seinen Erinnerungen (Vergangenheit) und erkennt nicht was er wirklich ist. Er macht sich Sorgen über die Zukunft und er identifiziert sich auch mit diesen sorgenvollen Gedanken. Gier, Neid, Rastlosigkeit sind die Auswirkung von Ängsten betreffend die Zukunft. Der Mensch glaubt,  wenn er möglichst viel „materielle Sicherheit“ anhäuft, sein Glück für die Zukunft abzusichern.  Doch er kennt nicht die geistigen Gesetze. Er weiß nicht, dass durch „Mangeldenken“ Not und Mangel wie von einem starken Magnet magisch angezogen werden. Dabei mag es sein, dass Gier tatsächlich zu materiellem Reichtum führt, doch innere Armut, Sorgen, Unzufriedenheit, Unglück und innere Einsamkeit sind dabei sicher vorprogrammiert.

Ein Tier kennt keine Zeit und daher keine Zukunft. Es lebt absolut in der Gegenwart. Das gilt auch für das Eichhörnchen, wenn es instinktiv Nahrung für den Winter sammelt. Kein Tier beklagt oder verherrlicht die Vergangenheit und es denkt nicht darüber nach, was morgen passieren könnte. Die universelle Weisheit in ihm, leitet es an „jetzt“ das Richtige zu tun. Im Matthäus Evangelium (6,26) lesen wir: >> Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie? << Das ist kein Aufruf zur Untätigkeit. Wer seine Mitte gefunden hat, wer in sich ruht, wer geistig zentriert ist, der muss sich nicht besonders anstrengen, kämpfen und abrackern um ausreichend versorgt zu sein. Er tut leichten Herzens, das, was sein Karma und der Augenblick von ihm fordern und alles andere überläßt er frohen Mutes dem universalen Bewusstsein.

Der Ego-Verstand hingegen sagt: „Du hast jetzt Probleme! Diese belasten deine Zukunft! Du musst dir daher Sorgen machen! Lass deine Gedanken kreisen! Denke jetzt möglichst viel nach, um eine gute Lösung für deine Probleme zu finden! Und wenn dir der Verstand eine Lösung anbietet, so streng dich ordentlich an und eile in die Zukunft um dort dein Glück zu finden!“

 

Die Wahrheit ist:

 

„Darum sorgt nicht für den andern Morgen;

denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen!“ (Mat. 6, 34)

 

Wie können wir die Zeit „eliminieren“, wie dies Tolle empfiehlt? Es ist ganz einfach: „Je mehr du dir Zeit lässt, desto mehr Zeit hast du!“ und „Je mehr du dich hetzt, desto weniger Zeit hast du!“ mit anderen Worten: „Wenn du es eilig hast, so gehe langsam!“ Das klingt paradox, insbesondere wenn wir berücksichtigen, dass „Zeit“ ohnedies nicht wirklich existiert, sondern nur eine Vorstellung unseres Denkens ist. Die Illusion „Zeit“ löst sich auf, wenn wir ganz eins sind mit dem gegenwärtigen Sein.

 

Gedanken sind starke Kräfte. Die Vorstellung von „Zeitdruck“ oder „Zeitmangel“ schafft den Druck und den Mangel. Das entspricht dem Gesetz der Resonanz. Beende dein zwanghaftes Denken und Tun! Wende den Blick vom Wahnsinn der Zeit, von lauten äußeren, angeblichen „Notwendigkeiten“ nach innen. Beobachte wie sehr deine Aufmerksamkeit in der Vergangenheit und in der Zukunft weilt. Kannst du deine Gedanken beobachten, so bist du nicht mehr der Sklave der Zeit. Durch innere Selbstbeobachtung entsteht Raum in dir für Gegenwärtigkeit. Und diese Präsenz schafft Licht, Kraft und Freiheit.

 

Bernd Helge Fritsch